Venedig: Die Siegerfilme

In Venedig gewann Yorgos Lanthimos mit „Poor Things“ den Hauptpreis – völlig zurecht. Und auch sonst konnte man ein starkes Festival erleben.

Von Matthias Greuling

Er war der strahlende Sieger dieses Abends bei der Preisverleihung der 80. Filmfestspiele von Venedig: Dabei war dem Griechen Yorgos Lanthimos völlig klar, dass dieser, sein Triumph vor allem durch seine grandiose Hauptdarstellerin Realität geworden ist: In „Poor Things“, für den es den Goldenen Löwen gab, ist Emma Stone als Bella Baxter zu sehen, eine junge Frau, an der Vieles ziemlich entrückt wirkt. Es stellt sich schnell heraus, dass sie eine Art Frankenstein-Experiment des Wissenschaftlers Godwin Baxter (Willem Dafoe) ist. Hochschwanger hat sich Bella in den Tod gestürzt, ihr Körper landet auf dem Tisch des experimentierfreudigen Baxter, der das Gehirn ihres ungeborenen Babys in den Kopf der Mutter verpflanzt. Nach erfolgreicher Wiederbelebung ist Bella, die ihren Schöpfer Godwin gerne God nennt, eine junge Frau mit dem Gemüt eines Kleinkindes, das aber auch in großem Selbstbewusstsein den eigenen Körper und bald auch die eigene Sexualität entdeckt. Dabei behilflich ist ihr der schmierige Anwalt Duncan Wedderburn (Marc Ruffalo) – „Poor Things“ ist nicht nur ein sehr erotischer Film, sondern auch ultrakomisch und skurril, und stellt die Frage, was Wissenschaft eigentlich darf. So stilsicher, wie Lanthimos diesen Trip inszeniert, war ihm der Hauptpreis gewiss. Und für Emma Stone kann es für diese feministisch angehauchte Frankenstein-Version am Ende nur der Oscar werden. 

Trailer zu „Poor Things“.

In Venedig ist am Samstag ein Festival zu Ende gegangen, das geprägt war von guten Filmen und von der Abwesenheit der Stars, die sich immer noch im Streik befinden, weil sie bessere Arbeitsbedingungen fordern und auch einen Verzicht von Bildern, die von der künstlichen Intelligenz hergestellt werden. Mit „Poor Things“ gewann hier der frühe Top-Favorit auf den Goldenen Löwen, und auch sonst ist die Jury um den Regisseur Damien Chazelle weithin den Kritikerlieblingen gefolgt. Zum Beispiel im Fall von „El conde“ des chilenischen Regisseurs Pablo Larrain. Der unternimmt einen Ausflug in eine Art Paralleluniversum, in dem der chilenische Diktator Augusto Pinochet (Jaime Vadell) nicht 2006 verstorben ist, wie das in der realen Welt geschehen ist. Stattdessen fristet er ein ewiges Dasein als Vampir, der sich bereits seit 250 Jahren von Blut ernährt. Larrains von Netflix produzierte Farce seziert nicht nur das Vampirfilm-Genre, sondern politisiert es auch. Dafür gab es in Venedig den Preis für das beste Drehbuch.

Ryusuke Hamaguchi im Video-Interview zu „Evil Does Not Exist“.

Den Großen Preis des Festivals erhielt Ryusuke Hamaguchi für das stoisch-poetische Drama „Evil Does Not Exist“, in dem die Ruhe eines Dorfes, das im Einklang mit der Natur existiert, gestört wird, weil man dort einen Glamping-Platz errichten will.

Regiepreis für Matteo Garrones „Io Capitano“. Foto: La Biennale

Als bester Regisseur wurde der Italiener Matteo Garrone für seinen Film „Io Capitano“ geehrt: Ein Film über die Flüchtlingskrise, der die Odyssee zweier junger Männer beschreibt, die Dakar verlassen, um Europa zu erreichen. Ebenfalls hochpolitisch ist „Green Border“ der Polin Agniezska Holland, die das Flüchtlingsleid an der „grünen Grenze“ zwischen Belarus und Polen in harten Bildern nachzeichnet – die Jury verlieh ihren Spezialpreis an diesen aufwühlenden Film.

Cailee Spaeny gewann den Schauspielerpreis für ihre Rolle als Priscilla Presley in „Priscilla“. Foto: LaBiennale

Bei den Schauspielern räumten Cailee Spaeny in „Priscilla“ (von Sofia Coppola) und der US-Schauspieler Peter Sarsgaard in „Memory“ ab. Spaeny spielt in dem recht durchschnittlichen Bio-Pic Priscilla Presley, die einstige Ehefrau von Elvis Presley, während Sarsgaard im Film von Michel Franco einen Demenzkranken mimt. 

Peter Sarsgaard wurde für Michel Francos „Memory“ ausgezeichnet. Foto: La Biennale

Der Schauspieler-Streik hat der Außenwahrnehmung des Festivals von Venedig wohl geschadet – inhaltlich hat Direktor Alberto Barbera aber auf sein bewährtes Erfolgsrezept gesetzt: Große Namen, glanzvolle Filme, arrivierte Regisseure, und das alles zum Start der US-Awards-Season. Ein Konzept, das wieder und wieder aufgeht, auch dank der eifrigen Teilnahme von Titeln aus dem Hause Netflix & Co. 

Hinter den Kulissen des Filmfestivals von Venedig mit Katharina Sartena und Matthias Greuling.

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