Bei den 59. Filmtagen in Solothurn feiert sich das Schweizer Filmschaffen – und sieht sich mit einem neuen Filmgesetz konfrontiert, das ihm viele Vorteile bringen könnte.
Niccolo Castelli kann sich gut an seine Jugendzeit erinnern. In den 1990ern war der künstlerische Leiter der Solothurner Filmtage als Teenager froh, wenn eine Folge seiner Lieblingsserie im TV lief. Danach musste er sich wieder für eine Woche gedulden, ehe es eine neue Folge zu sehen gab. „Das hat sich heute geändert“, sagt Castelli. „Denn nun kann man alles streamen und ist in der Lage, ganze Serien auf einmal zu sehen – was man auch als Binge-Watching bezeichnet“.

Castelli umreißt damit ein Grundproblem von Kinobetreibern, Festivalinstitutionen oder Fernsehanstalten: Denn die Streaming-Dienste haben deren Vertriebswegen in den letzten Jahren sehr viele Zuschauer gekostet. Weshalb man jetzt in der Schweiz seit 1. Januar 2024 ein neues Filmgesetz in Kraft treten hat lassen, dass im Volksmund auch als „Lex Netflix“ bekannt geworden ist. Die Gesetzesänderung zielt darauf ab, dass Online- und Fernsehdienste wie Netflix oder Disney+ in Hinkunft stärker in die Förderung der lokalen Film- und Fernsehproduktion eingebunden sein müssen. Das bedeutet konkret, dass ab 2024 die genannten Unternehmen 4 % ihres in der Schweiz erwirtschafteten Umsatzes wiederum in das Schweizer Film- und Serienschaffen reinvestieren müssen. Die Schweizer Filmbranche erwartet durch diese Maßnahme erhebliche Auswirkungen auf die gesamte Branche.

Geht es nach dem schweizerischen Bundesamt für Kultur, dann soll dieses Gesetz jährlich etwa 18 Millionen Franken zusätzlich in lokale Produktionen fließen lassen. Man geht davon aus, dass Netflix und Co. dieses Geld vor allem in Serien und Filme investieren wird, die nicht ohnehin schon vom Bund gefördert werden. Dadurch könnte ein völlig neues Standbein für die Schweizer Filmindustrie entstehen.
Doch damit nicht genug: die „Lex Netflix“ greift auch auf die inhaltliche Ausgestaltung der Produktionen zu. Es ist etwa Bedingung, dass die Streaming-Dienste auch eine Quote an europäischen Filmen einhalten. So will man nicht nur das lokale Schweizer Filmschaffen stärker repräsentieren, sondern auch inländische und europäische Inhalte in den Medienangeboten internationaler Streaming-Dienste fix verankern.

Die Schweizer Filmschaffenden hier am Filmfestival in Solothurn begrüßen das neue Gesetz, denn dadurch würde der Weg geebnet, um Schweizer Produktionen auch am internationalen Markt besser platzieren zu können. Alle hätten davon Vorteile: nicht nur die Produzenten hätten mehr Arbeit, auch die Schauspieler, Regisseure, Kameraleute und alle weiteren Filmberufe wären Nutznießer. Auch fürs Publikum bringt das neue Gesetz eine noch größere Vielfalt im Schweizer Filmschaffen.
Vielfalt ist es auch, die Ivo Kummer, der Chef des Bereichs Film im schweizerischen Bundesamt für Kultur fordert. „Entscheidend ist, die Vielfalt des Schweizer Films zu bewahren, einschließlich verschiedener Erzählformate“, sagt Kummer. Dabei sei der Schweizer Film bereits gut vorbereitet auf internationale Herausforderungen, wie Kummer betont: „Der Schweizer Film genießt derzeit eine gute Reputation, auch im internationalen Kontext. Dies resultiert aus erfolgreichen Ko- Produktionen, bei denen im Ausland nicht nur die Geschichten aus der Schweiz geschätzt werden, sondern auch die filmtechnische Expertise, die auf einem hohen Standard steht“, erzählte Kummer der Solothurner Zeitung.
Die „Lex Netflix“ ist also im Schweizer Kino derzeit in aller Munde. Über die konkrete Ausgestaltung wird man sich schon in einigen Jahren bei ausführlichen Evaluierungen unterhalten können. Die Idee ist jedenfalls nicht schlecht, und hätte eventuell auch Modellcharakter für andere kleine Filmmärkte, etwa auch für Österreich.
Infos zum Festival: https://www.solothurnerfilmtage.ch/
Matthias Greuling aus Solothurn
