Cannes erlebt neue MeToo-Welle

Das 77. Filmfestival wurde am Dienstag eröffnet. Stimmen zu Machtmissbrauch in der französischen Filmbranche nehmen zu.

Von Matthias Greuling (Text) und Katharina Sartena (Fotos), Cannes

Viel wird dieser Tage in Cannes über die MeToo-Bewegung gesprochen. Man könnte meinen, diese Debatte kommt hier um gute sechs Jahre zu spät. Aber es ist nun einmal Faktum, dass die erste MeToo-Welle seinerzeit vor allem US-amerikanische Missbrauchsfälle thematisierte, bis nach Frankreich hat die Welle offenbar etwas länger gebraucht. 

Thierry Frémaux (2.v.l.) will, dass man in Cannes vor allem über die Filme diskutiert, nicht über MeToo. Foto: Katharina Sartena

Thierry Frémaux, dem Chef des Festivals, stößt die Debatte sauer auf. Bei einer Pressekonferenz verlautete er: „Es sollte in Cannes lieber um die Filme gehen als um solche Themen. Wir sind dafür da, das Kino zu feiern!“ Ein gewagter Satz in einem schon sehr elektrisierten Umfeld. Frémaux ist für seine markigen Sprüche bekannt, kommt aber dennoch an dem Thema nicht vorbei: Allerorts äußern sich weitere Schauspielerinnen in Interviews über sexuellen Missbrauch.

Frankreichs Presse nimmt vorweg, was in Cannes die nächsten Tage passieren könnte: Zum Beispiel, dass der rote Teppich zum „Glutteppich“ werden könnte – ob brisanter Themen.

Léa Seydoux, das aktuelle Aushängeschild französischer Schauspielkunst, die die Hauptrolle im Eröffnungsfilm „Le Deuxième Acte“ von Quentin Dupieux (außer Konkurrenz) spielt, äußerte sich in Cannes zum Thema: „Es ist wunderbar, dass die Frauen jetzt ihre Stimme erheben. Die Dinge ändern sich eindeutig, und es war höchste Zeit dafür. Ich habe den Eindruck, dass dieser Wandel tatsächlich stattgefunden hat“. Da trifft es sich gut, dass „Le Dexième Acte“ ganz aktuell auf Themen wie MeToo und Schauspielerei, Machtmissbrauch und den Alltag am Filmset eingeht. „Der Film spielt auch mit dieser Idee, er spricht über sehr aktuelle Ereignisse und diese Bewegung, wo Frauen jetzt ihre Stimme erheben, und das war von grundlegender Bedeutung, damit dieser Wandel stattfindet“, so Seydoux.

Meryl Streep erhielt die Ehrenpalme des Festivals. Foto: Katharina Sartena

„MeToo ist sehr wichtig. Es ist ein sehr ernstes Thema. Aber ich denke, es ist auch notwendig, darüber mit Humor zu sprechen. In dem Film wird dies auf sehr lustige Weise beleuchtet.“

Das komödiantische, leichtfüßig als Film-im-Film inszenierte 85-Minuten lange Stück ist Farce, Persiflage und Groteske zugleich, blickt dabei schonungslos hinter die Kulissen an einem Filmset und gibt sich – auch dank Seydoux’, Louis Garrels und Vincent Lindons Mitwirkung herrlich selbstironisch. 

Jane Fonda war Ehrengast bei der Eröffnung. Foto: Katharina Sartena

Das Festival betont jedenfalls, auf „Störfälle“ jeder Art vorbereitet zu sein (weil hier auch die unterbezahlten Festivalmitarbeiter einen Streik angekündigt hatten): Die Festivalpräsidentin Iris Knobloch sagte, dass man situationselastisch mit auftretenden Problemen umgehen werde. Sollten Missbrauchsvorwürfe gegen Mitwirkende an Filmen aus dem Programm auftauchen, dann würde man von Fall zu Fall entscheiden, wie damit umzugehen sei. 

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