Der spanische Altmeister hat mit „The Room Next Door“ alle überzeugt: Er gewann am Samstag Abend den Goldenen Löwen in Venedig. Unsere Kritik zum Film!
Karoline Pilcz, Matthias Greuling /Venedig
Er war überrascht, und auch gerührt: Pedro Almodovar, bereits 2019 am Lido für sein Lebenswerk ausgezeichnet, holt mit seinem ersten englischsprachigen Film (mit Tilda Swinton und Julianne Moore in den Hauptrollen) den Goldenen Löwen der 81. Filmfestspiele von Venedig (alle weiteren Preisträger gibt es hier). Viele Bussis gab es daher von Almodovar für die Jurypräsidentin des Festivals, Isabelle Huppert. Wir haben „The Room Next Door“ in Venedig gesehen und ihn bereits besprochen:
Zwei Frauen sind die Protagonistinnen der Geschichte, die Almodóvar meisterlich zu erzählen versteht. Sie reden, sie denken, sie erzählen, sie sind empathisch und einander Freundinnen. Einst verbrachten sie ihre jungen wilden Jahre gemeinsam, irgendwann tief in den 1980ern, teilten sich sogar – hintereinander wohlgemerkt – den Geliebten: Die rothaarige, sehr weibliche Schriftstellerin Ingrid, alias Julianne Moore, die erfolgreich fiktionale Lebensgeschichten erzählt, und die toughe Kriegsberichterstatterin Martha, alias Tilda Swinton, die in einer männlichen Domäne brillierte und jetzt unheilbar an Krebs erkrankt ist. Ingrid erfährt von Marthas Lage und besucht sie, die beiden nähern sich wieder an und Martha bittet Ingrid, bei ihr zu sein, wenn sie ihr Leben beendet. Sie möchte nicht zur medikamentenabhängigen, willenlosen Patientin werden, sondern selbst den Zeitpunkt ihres Sterbens wählen. Ingrid stimmt zögerlich zu.

Die Handlung an sich ist schnell erzählt und folgt im Wesentlichen dem Roman der amerikanischen Autorin Sigrid Nunez „Was fehlt dir“ (2021; Originalfassung „What you are going through“, 2020). Was nun Pedro Almodóvar in seinem ersten englischsprachigen Kinofilm daraus macht, ist bemerkenswert.
Er greift auf jene starken Farbbilder zurück, die ihn einst auszeichneten, Farbkontraste bestimmen die Szene, kräftiges Rot, Gelb, Grün, Violett und was die Farbpalette sonst noch zu bieten hat. Kräftig, aber wohltemperiert, Almodóvar weiß um das richtige Mass. Seine Bilder, seine Stimmungen und Atmosphären sind genauso schön wie die beiden Hauptdarstellerinnen. Obwohl die sechzig bereits überschritten bewegen sie sich mit Grazie und Natürlichkeit, auch bei ihnen keine Geste, kein Lächeln zu viel. Hier bilden zwei Könnerinnen ein ungleiches Protagonistenpaar. Es wird viel geredet in dieser Geschichte, die sich, bis auf kurze Rückblenden in der ersten halben Stunde, linear und stringent entwickelt. Das Wort ist hier das Instrument, das klingt. Und doch ist dieser knapp eineinhalbstündige Film still. Trocken. Langsam. Die Vögel zwitschern, der rosafarbene Schnee fällt. Dazwischen opulente Musik. Die langen Kameraeinstellungen bei den Szenenwechseln sind unterlegt mit grandioser Musik, die an spätromantische Opern erinnert. Literaten werden zitiert. Gedichte. Filme. Hier verschmelzen Bild, Wort und Musik zu einem kunstvollen Ganzen.

Es geht um die großen Themen Abschiednehmen, Krankheit und Tod, Sünde und Wahrhaftigkeit, um Familie, Freundschaft und Liebe. Und vor allem um das Recht auf Selbstbestimmung. All das wird hier unaufgeregt und unsentimental, wie nebenbei, angesprochen. Es ist ein poetischer Film. Ein Film über die Lektionen des Lebens. Ein emotional, flirrender Film, der trotzdem keine Tränen hinterläßt. Ganz großes Kino.
