In Berlin hat mit „Drømmer“ (Träume) des Regisseurs Dag Johan Haugerud ein norwegischer Film den Goldenen Bären gewonnen, der sich als würdiger Preisträger in einem durchwachsenen, aber qualitativ durchaus bemerkenswerten Wettbewerb erweist.
Von Matthias Greuling, Berlin
Es ist der Abschluss einer Trilogie über Liebe, Sex und Begehren. „Drømmer“ erzählt von der ersten Liebe der 16-jährigen Johanne – es ist ihre neue Lehrerin Johanna. Die Namensähnlichkeit legt die Fährte, wohin der Film geht: Die Liebe liegt im Film bereits zurück und als literarisches Manuskript vor. Erst darf die Oma reinlesen, dann die Mama. Niemand weiß ob des literarischen Outfits, welcher Teil der Liebe real und welcher Fiktion war. Was sind Träume, Phantasien, Begierden? Etwas, was Haugerud gekonnt dramatisch auslotet. Und auch die Frage nach dem „Queer“-Sein wird auf vielen Ebenen debattiert, die Lust am Zuschauen ist dem Umstand geschuldet, dass das Kino immer vor allem eine Projektionsfläche gewesen ist. Für genau das: Träume, Phantasien, Begierden.

Das Debüt der neuen Festival-Leiterin Tricia Tuttle aus den USA scheint gelungen, auch, weil sie viele dieser Projektionsflächen zugelassen hat, sich wenig einengen ließ in thematische Konzepte. Klar, die Berlinale bleibt politisch, aber sie trägt das nicht mehr wie eine Fahne vor sich her. In Tuttles Auswahl finden sich subtilere, weniger plakative politische Botschaften. Stattdessen gab es unter den Preisträgern der 75. Berlinale mit dem Darstellerpreis für Andrew Scott in Richard Linklaters „Blue Moon“ einen Preis für eine Story über einen Songtexter, Rose Byrne wurde für „If I Had Legs I’d Kick You“ über eine Mutter, die die mysteriöse Krankheit ihrer Tochter aufklären will, prämiert. Die Preise der Jury gingen mit „El mensaje“ (The Message) aus Argentinien und dem brasilianischen „O último azul“ (The Blue Trail) an Produktionen, die aus den Nischen des Weltkinos stammen. Bester Regisseur wurde Huo Meng für sein chinesisches Provinzdrama „Living the Land“, das die rasante Entwicklung des Landes ab 1991 im Dokustil nachzeichnet. Hochverdient!
Aus Österreich waren dieses Jahr gleich acht Produktion in Berlin vertreten, darunter Johanna Moders „Mother’s Baby“ im Wettbewerb. Moder folgt darin einer Mutter durch eine postnatale Depression – sie glaubt, ihr Kind wäre bei der Geburt gestorben und man hätte ihr ein anderes untergejubelt. Doch was in diesem Verwirrspiel-Thriller real und Phantasie ist, bleibt dem Zuschauer überlassen. Das ist vielleicht ein gemeinsamer Nenner vieler Berlinale-Titel: Sie feiern die Phantasie und die Illusion. Beides Grundvoraussetzungen für das Kino.
