Eine Wüstenstadt in New Mexico, ein Sheriff ohne Maske und eine Gesellschaft im kollektiven Ausnahmezustand: In seinem neuen Film Eddington seziert Ari Aster das moralisch und ideologisch überdrehte Amerika des Jahres 2020. Was entsteht, ist ein fiebriges Porträt eines Landes, das sich selbst verloren hat – und nicht sicher ist, ob es wiedergefunden werden will.
Text: Matthias Greuling, Fotos: Katharina Sartena
Von einem klassischen Horrorfilm ist Ari Asters neues Werk weit entfernt – auch wenn das Unbehagen hier tief unter die Haut kriecht. Eddington ist ein politisches Fieberbild, ein psychologischer Thriller und ein zynischer Abgesang auf kollektive Gewissheiten. Die Geschichte spielt in einer halbverlassenen Stadt im Süden der USA, während die COVID-Pandemie ihren Höhepunkt erreicht.



Im Zentrum steht der Sheriff Joe Cross, gespielt von einem sichtlich abgekämpften Joaquin Phoenix, der sich weigert, die staatlich verordneten Regeln zu befolgen. Kein Mundschutz, kein Lockdown, keine Kompromisse. Phoenix gibt dieser Figur eine Mischung aus Trotz, Verletzlichkeit und latenter Verzweiflung – er ist ein Mann, der nicht mehr weiß, ob er der Welt oder sich selbst misstrauen soll.
Doch Eddington ist mehr als das Porträt eines störrischen Außenseiters. Der Film nutzt die Pandemie als Projektionsfläche für eine größere Krise: das Auseinanderdriften einer Gesellschaft, die längst keine gemeinsamen Erzählungen mehr kennt. Aster greift Themen auf, die das Amerika der letzten Jahre tief erschüttert haben: die Proteste nach dem Mord an George Floyd, den moralischen Eifer einer neuen Aktivistengeneration, das Aufkommen von Verschwörungserzählungen und die Allmacht der digitalen Plattformen.
Der Regisseur ist dabei kein zynischer Kommentator, sondern ein scharfer Beobachter. Er karikiert den Eifer der politischen Jugend ebenso wie die Paranoia des Mittelstands, aber er tut es ohne Spott – vielmehr mit einer bitteren Erkenntnis: Die Welt hat sich in moralische Schützengräben geteilt, in denen jeder nur noch sich selbst hört.

Parallel zum gesellschaftlichen Drama entfaltet sich die Geschichte eines zerfallenden Ehelebens: Joe lebt mit seiner psychisch labilen Frau Louise (Emma Stone) und deren Mutter auf einem einsamen Ranchhaus außerhalb der Stadt. Als ein charismatischer Fremder (Austin Butler) auftaucht, der vorgibt, Opfern von sexuellem Missbrauch zu helfen, beginnt sich Louise von Joe zu entfremden – und das Persönliche kippt ins Kollektive.
Eddington ist ein Film über das Unbehagen in der Moderne. Über den Kontrollverlust – politisch, medial, privat. Über die Auflösung von Autorität, Vertrauen, Wahrheit. Es ist ein Film, der mit seinem fragmentarischen Erzählstil, seiner Mischung aus Realismus und Absurdität, seine Zuschauer fordert. Doch Aster gelingt, was vielen politischen Filmen misslingt: Er urteilt nicht, sondern lässt die Widersprüche nebeneinander stehen.

Dass er dabei alle Seiten in die Pflicht nimmt – linke Dogmatik, rechte Paranoia, digitale Allmachtsfantasien – macht Eddington zu einem seltenen Werk im aktuellen Kino. Es ist ein Film, der nicht nach einfachen Antworten sucht, sondern das Chaos als Zustand unserer Gegenwart ernst nimmt.
Wenn am Ende Joe Cross, dieser traurige, zerzauste Sheriff, alleine im Staub steht, dann ist das nicht nur das Bild eines gescheiterten Mannes. Es ist das Bild eines Landes, das sich verirrt hat – und vielleicht nie ganz zurückfinden wird. Oder gar nicht zurückfinden will.
