Hollywood-Kultstar Lucy Liu bekam in Locarno einen Ehren-Leoparden und stellte ihr Krebs-Drama „Rosemead“ vor. Ein Gespräch über Rollen, Mutterschaft und kulturelle Identität – und darüber, warum eine einzige falsche Geste alles zerstören kann.
Interview: Matthias Greuling, Locarno
celluloid: Sie haben mit „Rosemead“ ins ernste Charakterfach gewechselt und spielen darin die krebskranke Mutter eines 17-jährigen Burschen, der an Schizophrenie leidet. Die Körperlichkeit spielt in Ihrer Rolle eine große Bedeutung. Wie haben Sie sich diesem Aspekt genähert?
Lucy Liu: Von Anfang an war mir klar: Die körperliche Dimension ist extrem wichtig. Ich habe enge Freunde und Verwandte, bei denen ich miterlebt habe, wie verheerend der körperliche Verfall einer Krebserkrankung sein kann. Wenn man jemanden viele Monate nicht sieht und dann wiedersieht, ist es oft erschreckend, wie stark gealtert er wirkt – sei es durch die Krankheit selbst oder durch die belastende Behandlung. Für die Figur der Irene, dieser besorgten Mutter, war das entscheidend: Sie durchlebt ihre zweite Krebserkrankung. In den Rückblenden hat sie noch volles, gesundes Haar, strahlt Jugend und Lebendigkeit aus. Nach der Chemotherapie fällt es aus, und sie altert gefühlt über Nacht. Die Haare können gekräuselt oder silbrig zurückkehren, oft ohne Pigment. Viele Betroffene entwickeln auch Arthrose als Folge der Therapie. Wir wollten visuell deutlich machen, dass ihre Kraft allein aus ihrem Willen erwächst – nicht aus ihrem Körper. Sie kämpft um ihr eigenes Überleben und um das ihres Sohnes, obwohl ihr Körper ihr im Weg steht.

Wie legt man so eine Darstellung an?
Ich habe zwar kein spezielles Training absolviert, aber ich habe das Konzept vollkommen verinnerlicht und die körperliche Sprache der Figur sorgfältig entwickelt. Das Publikum sollte nicht denken: „Das ist dieselbe Schauspielerin, die ich schon aus anderen Filmen kenne.“ Ich wollte jede Spur von Prominenz hinter mir lassen. Als mir die Rolle angeboten wurde, sagte ich ausdrücklich: „Es gibt so viele großartige Kolleginnen, die das spielen könnten. Ich habe Sorge, dass die Aufmerksamkeit auf mich die Geschichte überlagert.“ Aber Regisseur Eric Lin hatte großes Vertrauen in mich. Ich wusste, dass ich es konnte – ich wollte nur nicht der Rolle unrecht tun. Eine einzige unpassende, Hollywood-typische Geste, und alles wäre hinfällig gewesen. Jede Sekunde zählt.
Sie sind selbst Mutter – war diese Rolle eine besondere Herausforderung?
Absolut. Mein eigener Status als Mutter hat mir die Entscheidung sehr erleichtert. Ich bin eine späte Mutter; mein Sohn wurde geboren, als ich 46 war, mein Leben war da bereits sehr eingerichtet. Plötzlich merkt man: Die Karriere tritt zurück, das Kind steht im Mittelpunkt. Aber ich will nicht, dass er in einer Welt aufwächst, in der wir schwierige Themen meiden. Es geht mir nicht nur um körperliches, sondern auch um emotionales Wohlbefinden. Sicher wird er im Laufe seines Lebens mit Herausforderungen konfrontiert. Als junger asiatisch-amerikanischer Junge gehört er statistisch leider zu der Gruppe mit der höchsten Suizidrate in den USA. Darum ist es wichtig, dass wir offen darüber sprechen – damit er keine Berührungsängste entwickelt gegenüber Menschen, die krank sind, anders lernen oder anders leben. Ich möchte, dass er die Sprache und das Verständnis dafür mitbekommt, damit es keine Tabus gibt. Meine Aufgabe ist, so ehrlich wie möglich zu sein, ohne zu verletzen.
Dies ist eine Geschichte von Akzeptanz und Integration. Welche Rolle spielten Ihre asiatisch-amerikanischen Wurzeln?
Für mich war die Sprache das Wichtigste. Hätte ich nicht auf Mandarin drehen können, hätte ich die Rolle nicht angenommen. Jeder Dialekt, jeder Sprachklang trägt Identität und Atmosphäre. Wir haben akribisch darauf geachtet, dass kein Wort fehlerhaft übersetzt wurde – auch in den Untertiteln nicht. Ein kleines „Eh“ kann Zustimmung, Überraschung oder Zuneigung bedeuten. Wird es im Untertitel zu „Hey“ oder „Klar“, verliert die Szene ihre Poesie. Uns geht es um universelle Themen – jenseits von Martial-Arts- oder Crazy-Rich-Asians-Klischees. Wir wollen zeigen: Das ist echte, facettenreiche asiatisch-amerikanische Lebensrealität.
Wie sehen Sie heute Ihre Rolle in der Community?
Ich lebe sehr zurückgezogen. Mein Sohn ist mein Lebensmittelpunkt. Öffentliche Auftritte mache ich nur, wenn sie wirklich etwas bedeuten – etwa für UNICEF oder für Freunde. Verantwortung gegenüber der Community beginnt bei mir selbst. Ich nehme nur Projekte an, die mich wirklich bewegen. Ob ein Film ein Hit wird, liegt nicht in meiner Hand. Aber ich kann authentisch leben und entscheiden. Wenn wir die Welt verändern wollen, müssen wir ehrlich mit uns selbst beginnen.
Wie unterschied sich der Prozess, in Irenes Haut zu schlüpfen, von Ihren ikonischen Rollen?
Besonders diesmal war die sprachliche Präzision entscheidend. Jede Zeile musste neu gedacht und „verstellt“ werden – nicht einfach Englisch mit asiatischem Akzent sprechen. Jedes Verb, jede Satzstellung musste der chinesischen Syntax entsprechen, sonst wäre die Figur unglaubwürdig. Ich habe mit Sprachcoaches gearbeitet, um sicherzustellen, dass das Mandarin perfekt sitzt und die Untertitel nichts verfälschen. Eine falsche Übersetzung kann den Zuschauer sofort aus der Geschichte reißen.
Und wie fühlen Sie sich heute bei dem Gedanken an das Sequel zu „Der Teufel trägt Prada“, bei dem Sie mirwirken werden und das im Mai 2026 in die Kinos kommen soll?
Ganz anders. In „Der Teufel trägt Prada“ steht Mode als Kunstform im Vordergrund – Glanz und Inspiration. In „Rosemead“ hingegen geht es um Menschlichkeit, um den ungeschönten Blick ins Familienleben. Zwei völlig verschiedene Erfahrungen, aber beide auf ihre Weise berührend.
Mehr Infos zum Film: Rosemead
