Paolo Sorrentino eröffnet die 82. Filmfestspiele von Venedig. Proteste gegen den Krieg in Gaza sind für das Wochenende angekündigt.
Matthias Greuling, Lido di Venezia
Unter dem gleißenden Blitzlichtgewitter und dem gedämpften Plätschern der Lagune eröffnete Paolo Sorrentino die 82. Mostra del Cinema mit einem Film, der eher ein leises, nachdenkliches Atmen als ein rauschendes Spektakel ist: „La Grazia“. Schon die ersten Minuten machten deutlich, dass dies kein Sorrentino in barocker Opulenz ist, sondern ein Sorrentino im Zustand der Kontemplation.

Im Zentrum: Toni Servillo als italienischer Präsident Mariano De Santis. Zwei Entscheidungen, zwei moralische Abgründe – ein Euthanasiegesetz und die Begnadigung zweier Mörder. Sorrentino inszeniert das nicht als Politthriller, sondern als Studie über das menschliche Gewissen. Ein Kino der Stille, das sich bewusst weigert, einfache Antworten zu geben. Dass das Publikum minutenlang stand und applaudierte, überrascht nicht: Es ist ein Werk, das nicht laut werden muss, um Wirkung zu entfalten.
Werner Herzog: Der letzte Romantiker
Doch der eigentliche Triumph dieses Abends gehörte einem, der längst selbst ein Monument ist: Werner Herzog. Francis Ford Coppola, nicht weniger Legende, überreichte ihm den Goldenen Ehrenlöwen für das Lebenswerk. Herzog, in seiner unverwechselbar trockenen Art, sprach von sich als „guter Soldat des Kinos“ – und machte zugleich unmissverständlich klar, dass er keineswegs ans Aufhören denkt. Ob neuer Spielfilm, Animationsprojekt oder Dokumentationen: Herzog bleibt ein Wanderer, ein Getriebener, der keine Rast kennt.

Festival zwischen Filmkunst und Weltpolitik
Die Biennale inszeniert sich gern als Ort der Begegnung, als Bühne für das Kino in seiner ganzen Vielfalt. Doch so sehr man hier Kunst feiert, so wenig lässt sich die Realität ausblenden. Schon am Eröffnungsabend war spürbar, dass die kommenden Tage von Protesten begleitet sein werden. Aktivisten kündigen Demonstrationen an – für Palästina, gegen Israels Krieg, gegen das Schweigen Europas. Es wäre naiv zu glauben, dass der rote Teppich auf dem Lido eine schützende Blase bietet.
Ein Wochenende im Ausnahmezustand
Die Jury unter Leitung von Alexander Payne wird in den kommenden Tagen über Preise und Perspektiven des Kinos befinden. Doch draußen, zwischen Palazzo und Piazzetta, werden sich Politik und Protest Bahn brechen. Der Festivalauftakt mit La Grazia mag leise gewesen sein, doch Venedig selbst wird alles andere als still bleiben. Die Stadt wird sich auf ein turbulentes Wochenende einstellen müssen.
