Jude Law kann! Und wie! In Olivier Assayas‘ Wettbewerbsbeitrag „The Wizard of the Kremlin“ bekommen wir Einblick in eine verstörende Polit-Welt.
Von Peter Beddies & Matthias Greuling
Manche nennen ihn mittlerweile den Irren aus dem Kreml, andere den einzigen, der in Europa noch Washington die Stirn bietet. Wladimir Putin ist eine mehr als umstrittene Figur. Anfang des Jahres war „Putin“ in den Kinos – eine geschmacklose Abrechnung mit dem russischen Präsidenten. Der Franzose Olivier Assayas ist für so etwas viel zu klug. Wie schon bei seinem Fünfeinhalbstunden-Projekt Carlos – Der Schakal schaut Assayas auch hier wieder hinter die Kulissen. Dem – dieses Mal mit zweieinhalb Stunden fast schon kurz geratenen – Film geht es aber nur in zweiter Linie um Putin, extrem eindrucksvoll von Jude Law gespielt. Im Vordergrund – der Film basiert auf einem 2022 erschienenen Roman – steht Baranow, eine Paraderolle für den sehr wandlungsfähigen Paul Dano. Der erlebt nach dem Fall des eisernen Vorhangs die Zeit seines Lebens, in Rückblenden erzählt er einem US-Journalisten davon. Gerade eben noch aufstrebender Theaterkünstler, steht ihm nun die Welt offen. Er entscheidet sich für die Politik – will mitgestalten, anstatt nur zuzuschauen. Diese Figur ist fiktiv, aber angelehnt an einen russischen Politiker, der im Geheimen viele Jahre lang für Putin die Strippen der Macht gezogen hat.

Putin ist hier nicht das Monster, als das er so oft geschildert wird. Zumindest nicht zu Beginn. Da ist er Chef des mächtigen Geheimdienstes FSB und denkt schon, dass er alles erreicht hat. Aber er lässt sich auf das Angebot – unter anderem von Baranow – ein, den alten Präsidenten Jelzin zu ersetzen. Schon bald merken die Strippenzieher, dass sie jemanden inthronisiert haben, der sich nichts sagen lässt, der seine eigene Agenda hat. Der Film fängt ganz wunderbar die Stimmung in den 90er Jahren in Moskau ein (gedreht wurde in Riga), als alles möglich schien. Bis sich der Westen – auch das spielt im packenden Film eine Rolle – nicht an Absprachen hielt und die Russen klein halten wollte. Die Reaktion darauf kennen wir, das schwierige Thema Ukraine spart Assayas nicht aus. Aber eben nicht mit Schaum vor dem Mund, eher sachlich und analytisch.

Genau dieser Ansatz macht den Film zu einem besonderen Erlebnis. Jude Law erzählt, dass er ohne Angst an die Rolle heranging: „Ich hoffe nicht naiv, aber ich hatte keine Angst vor möglichen Konsequenzen“, sagt er. Und er betont, dass es nie um Provokation gegangen sei: „Es ging uns nicht darum, Kontroversen nur um der Kontroverse willen zu erzeugen.“ Sein Zugang war ein leiser, subtiler: „Die Schwierigkeit bestand darin, dass das öffentliche Gesicht Putins, das wir kennen, kaum etwas preisgibt … Ich spürte diesen Konflikt: nach außen fast nichts zu zeigen, innerlich aber sehr viel zu fühlen und das zugleich sichtbar zu machen“, sagte Law auf der Pressekonferenz am Lido. Dass am Ende manchmal schon eine Perücke Wunder wirkt, kommentiert er mit trockenem Humor: „Erstaunlich, was eine gute Perücke alles leisten kann.“
Assayas wiederum will die Figur Putins nicht isoliert betrachten, sondern im größeren Zusammenhang einer globalen Politik, die immer unberechenbarer und autoritärer agiert. „Wir haben einen Film darüber gemacht, was aus der Politik geworden ist – und über die sehr beängstigende und gefährliche Situation, in der wir uns alle wiederfinden“, sagt er. Der russische Präsident sei nur ein Beispiel, das Thema aber viel universeller: „Wir haben den Fall Putin genommen, aber das gilt für viele autoritäre Führer. Die Politik hat sich in unserer Lebenszeit grundlegend verändert – und was gerade passiert, ist erschreckend.“
„The Wizard of the Kremlin“ ist damit kein politisches Pamphlet, sondern ein psychologischer Thriller, der die Mechanismen der Macht seziert – mit einem fiktiven Drehbuch zwischen Intrigen und historischer Legende, angefüllt mit feinen Charakterstudien. Law spielt Putin nicht als dämonisches Klischee, sondern als komplexen Menschen. Assayas verwebt diese Entwicklung mit einem kritischen Blick auf unsere Gegenwart. Ein filmisches Statement, das provoziert, ohne zu hetzen – so, wie man es sich von einem sorgfältigen Polit-Kunstwerk wünscht.
