Goldener Löwe für Jim Jarmusch

Er hat mit „Father Mother Sister Brother“ den Goldenen Löwen gewonnen – Wir trafen Kult-Regisseur Jim Jarmusch am Lido von Venedig: Der Independet-Filmer mag nicht als König des Indie-Kinos bezeichnet werden. Er liebt das Familienleben – „aber nicht das typische, das man so kennt“.

Von Peter Beddies & Matthias Greuling

Am Lido von Venedig war er einer der stillen Höhepunkte des Festivals: Jim Jarmuschs neuer Film „Father Mother Sister Brother“ feierte seine Premiere, und das Publikum dankte es mit minutenlangem Applaus und Standing Ovations. Am Ende des Festivals gab es für Jarmusch den Goldenen Löwen – eine mehr als verdiente Auszeichnung.

Der Regisseur, längst eine Legende des Independent-Kinos, zeigt sich in diesem Werk so konzentriert, leise und verspielt wie schon lange nicht mehr. Drei Kapitel, drei Städte, drei Familienkonstellationen – und ein gemeinsamer Nenner: die Suche nach Nähe in der Distanz.

Jarmusch mit seinem Star Cate Blanchett. Foto: La Biennale

Im ersten Teil begleiten wir Emily und Jeff, die ihren Vater auf dem Land besuchen. Tom Waits, von Jarmusch wie nebenbei als alter Freund gewonnen, trifft hier auf Adam Driver als Sohn. „Tom Waits für die Rolle zu bekommen, war nicht schwierig“, erzählt Jarmusch im Gespräch mit celluloid am Lido von Venedig. „Er ist ein alter Freund von mir. Was ihn sehr verwirrt hat, das war der sehr strenge und direkte Arbeitsansatz der jungen Leute – zum Beispiel von Adam Driver. Nach dem ersten Drehtag meinte Tom nur, dass er mit dieser Energie nicht mithalten könne und ob ich sein Guard sein würde. Habe ich dann gemacht und es hat alles geklappt. Dem Film hat es sogar geholfen, dass sich Tom und die Jüngeren erst ein bisschen fremd waren.“ In dieser Fremdheit liegt ein zartes Leuchten, das den Ton des Films bestimmt.

Trailer

Das zweite Kapitel führt nach Dublin, wo Charlotte Rampling als Schriftstellerin ihre beiden Töchter – Cate Blanchett und Vicky Krieps – zum Tee trifft. Es sind leise Gespräche über Schuld, Erwartungen und Liebe, die sich in beiläufigen Gesten entfalten. Kein lautstarkes Familiengericht, sondern ein kleines Gesellschaftsspiel der Zwischentöne. Schließlich Paris, wo zwei Geschwister nach dem Tod ihrer Eltern das Erbe ordnen. In langen Einstellungen, mit Melancholie und subtiler Ironie, zeigt Jarmusch, dass Familie nicht im Großen, sondern in den winzigen Alltagsfragmenten sichtbar wird.

Szenenbild aus „Father Mother Sister Brother“, Foto: La Biennale

Dass ihn das Thema umtreibt, machte er auch in unserem rund 40-minütigen Gespräch am Lido deutlich. „Familie bedeutet mir sehr viel. Aber nicht die typische, die man schon so lange kennt. Warum muss zum Beispiel immer der Vater arbeiten gehen und im kapitalistischen System das Geld verdienen, während die Frau mit den Kids zu Hause bleibt? Das haben wir bei uns – meine Tochter ist jetzt 20 – nie so gelebt. Unser Familienleben ist halt eher ungewöhnlich!“ Genau diese Offenheit, dieses Ausloten anderer Möglichkeiten, spürt man in „Father Mother Sister Brother“.

Jarmusch bleibt damit auch dem Prinzip treu, das ihn seit Jahrzehnten begleitet. „Nennen Sie mich bloss nicht ‚King of Independent’! Das kommt manchmal vor und ich mag es nicht besonders. Was Independent für mich bedeutet? Dass mir niemand reinreden kann. Und zwar egal bei welcher Stufe des Filmemachens. Dass ich mir meine Mannschaft selbst aussuchen kann. Dass ich jedem und jeder davon auf Augenhöhe begegne.“ Seine Haltung ist nicht angriffslustig, sondern gelassen. Er akzeptiert, dass andere im Studiosystem arbeiten – doch seine eigene Freiheit bleibt unverhandelbar.

Am roten Teppich: Vicky Krieps, Cate Blanchett und Charlotte Rampling. Foto: La Biennale

Auch wenn es um die Rezeption seiner Filme geht, zeigt er sich pragmatisch. „Ob es mich stört, wie Menschen meine Filme schauen? Nein, auf keinen Fall! Viele Menschen schauen sich meine Filme auf ihren digitalen Endgeräten an. Und sagen mir dann, dass sie das nicht gestört hat, dass sie sich meine Welt sehr gut vorstellen konnten. Es heißt ja immer so schön, dass man bei ‚Lawrence von Arabien‘ nicht jedes Kamel erkennen muss. Trotzdem ist es ein legendärer Film. Ich habe keinen Einfluss, wie die Menschen meine Filme schauen. Ich finde es schön, wenn sie es – wo auch immer – tun!“

Father Mother Sister Brother“ ist kein Drama im klassischen Sinn. Er verzichtet auf große Konflikte, setzt stattdessen auf die Intensität der kleinen Momente. Ein Glas Wasser, ein missglückter Toast, eine Handbewegung – all das erzählt mehr als laute Worte. Jarmusch, der lakonische Poet, zeigt, dass Stille manchmal der stärkste Klang ist. Sein Film ist kein Familienrat, sondern ein stilles Konzert, bei dem jeder Platz frei bleiben darf.

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